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„Der Nationalstaat ist vorgeformt, sowohl geistig wie institutionell. Sein Jahrhundert wiederum formt die Arbeitswelt mit ihrem Vulkanismus und ihren Titanen vor – speziell durch die Wissenschaft. Auch hier kann kein Ziel sein; das Provisorische bezeugt es hinreichend. Oft wird, wie beim Aufschlagen von Zeltlagern, bereits auf Abbruch gebaut.“
„Der neue Typus ist nicht der kommende Großherr, sondern er gibt den »Vielzuvielen« ihre Würde, ihre Bedeutung zurück. Ein Gerechter hätte Sodom gerettet – und säße in unserem Zuge nur ein Einzelner, der ein neues Ziel erreichte, so wäre damit auch Myriaden auf der Station Verbliebener gedient.“
„Während der Revolutionen wird die Freiheit geringer; der Schub konsumiert. Zunächst war Freiheit als Ziel gemeint. Dann beschleunigt sich die Entwicklung auf schmalerer Bahn, macht jähe Wendungen. Das sind die Kurven, in denen dieLiberalen abspringen. Das Ziel ist stets ein anderes als das gemeinte; in ihm realisieren sich tiefere als die politischen Absichten. Nun verblassen die konstituierenden Elemente; die Konstitution tritt hervor. Die beweglichen, verändernden Kräfte werden schwächer; eine neue Harmonie wird gewonnen, ein neues Gleichgewicht stellt sich her. Dabei können die sich bildenden Typen den überwundenen recht ähnlich sein. Das führt zu, oft verblüffenden, Wiederholungen innerhalb der Stufungen, zu einerAuffrischung alter Prinzipien. Das wiederum ist die Strecke, auf der die Revolutionäre abspringen oder die Revolution ihre Kinder verschlingt.“
„Von einer rationalen Behandlung der Tatsachen dürfen wir uns auf alle Fälle mehr versprechen als von der moralischen. Daß das Moralische sich von selbst verstehe, ist ein gutes Wort. Außerdem liegt das Moralische dichter an den Leidenschaften als die Vernunft. Der Mensch hat zu allen Zeiten ziemlich genau gewußt, was gut und was böse ist, aber durchaus nicht immer das Vernünftige erkannt. Das gilt vor allem dort, wo der Gang der Tatsachen schneller ist als ihre Erfassung und wo eine Überraschung die andere jagt. Wenn der Geist sie als unsinnig empfindet, bekennt er, daß er nicht Schritt gehalten, daß er die Herrschaft verloren hat. Das bedeutet nicht, daß die Tatsachen nicht auch ihr Ziel haben. Daher werden sie auch heute unterhalb der Konflikte, unterhalb der moralischen Erwägung und der Panik vom Menschen bejaht. Sie sind objektivierter Geist, und daher genießen sie mehr oder minder verborgene Sanktion.“
„Wenn der Staatsplan in den Weltplan hinauswirkt und, wie wir es jetzt erleben, sprunghaft die Grenzen des Geschichtsfeldes und der dort erlernten Regeln überschreitet, so führt er in einen neuen Limbus der Harmonie und erfährt dort seine Ausrichtung. Er zahlt auch Eingangszoll. Während der menschliche Plan begrenzt ist, ist der Weltplan grenzenlos; er ist immer und überall. Das bedeutet, daß er auch innerhalb der Menschenpläne und ihrer Wissenschaft wirkt. Das ist ein verborgener Anteil der Pläne, der sich der Planung entzieht. Der Mensch treibt und erfindet Dinge, deren Bedeutung sich ihm versteckt. Die Alten pflegten das einfacher auszudrücken: »Der Mensch denkt und Gott lenkt.« Man braucht indessen die Theologie noch nicht zu bemühen, wenn man feststellt, daß in jedem Plan ein Regulativ verborgen ist, ein Anteil an jener Weltvernunft, die gerade das Unerwartete, ja das Absurde zu bevorzugen scheint, den Ausgang, den keine Phantasie sich erträumt hätte – indem sie etwa bei einemTier, das das Wasser verläßt, die Kiemen nicht, wie der Verstand der Verständigenes täte, zu Lungen, sondern zu ganz anderer Verwendung umbildet. Hierher gehört, was man als das Kentern, aber auch, was man als die Metamorphose des Planes überall und in unserem Zeitalter im besonderen beobachtet. Es ist zu unterscheiden zwischen dem Ziel und der Absicht des Planes; das Ziel kann in ganz anderer Richtung und auch Entfernung liegen, als der planende Geist beabsichtigte. Auch wir verlassen ein Element. Wir werden Organe einbüßen, andere werden sich umbilden. Das Kleid der Erde ändert sich. Daß eine Harmonie gestört und eine neue noch nicht gewonnen ist, verrät sich auch in der antaiischen Beängstigung. Die Gefahren wachsen; es wächst aber auch Sicherheit zu. Sie kann nur jenem Potential entspringen, das sich als unsichtbarer Anteil des Weltplans im Menschenplan verbirgt.“
„Es gibt keinen triftigen Grund, der der Annahme entgegensteht, daß sich eines Tages eine Konstanz der Mittel ergeben wird. Eine solche Beständigkeit durch lange Zeiträume hindurch ist vielmehr die Regel, während das fieberhafte Tempo der Veränderung, in dem wir uns befinden, ohne geschichtliches Beispiel ist. Die Dauer dieser Art von Veränderlichkeit ist begrenzt, sei es, daß der ihr zugrunde liegende Wille zerbricht, sei es, daß er seine Ziele erreicht. Da wir solche Ziele zu sehen glauben, ist die Betrachtung der ersten Möglichkeit für uns bedeutungslos.“
„Schon oft wird in der Menschengeschichte, sei es an Einzelnen, sei es an kleineren oder größeren Einheiten, der Sturz der unsterblichen Hierarchien mit seinen Folgen. sichtbar geworden sein. Immer standen dann mächtige Reserven zur Verfügung, sei es in der elementaren oder auch in der gebildeten Welt. Es gab noch wilden Grund in Fülle, und ganze Kulturen blieben unberührt. Heute ergreift der Schwund, der ja nicht lediglich Schwund ist, sondern zugleich Beschleunigung, Vereinfachung, Potenzierung und Trieb zu unbekannten Zielen, die ganze Welt.“
„Inzwischen hat sich erwiesen, daß der Nihilismus mit ausgedehnten Ordnungssystemen wohl harmonieren kann, ja daß das, wo er aktiv wird und Macht entfaltet, sogar die Regel ist. Die Ordnung ist für ihn ein günstiges Substrat; erbildet es zu seinem Zielen um. Vorausgesetzt wird lediglich, daß die Ordnung abstrakt sei, und also geistig -hierher gehört in erster Linie der durchgebildete Staat mit seinen Beamten und Apparaturen, und das vor allem zu einem Zeitpunkt, an dem die tragenden Ideen mit ihrem Nomos und Ethos verlorengegangen oder in Verfall geraten sind, obwohl sie vielleicht im Vordergrunde in erhöhter Sichtbarkeit fortleben. Es wird dann an ihnen nur noch beachtet, was zu aktualisieren ist, und diesem Zustande entspricht eine Art von journalistischer Geschichtsschreibung.“
„Das ist ein erster Hoffnungsblick. Zum ersten Male ergibt sich ein festes, sachliches Ziel inmitten des uferlosen Fortschritts und seiner Veränderung. Auch ist der Wille, es zuerreichen, nicht durchaus machtpolitisch – vielmehr entspricht er der Meinung, die man an jeder Straßenecke, in jedem Abteil hört.“
„Daneben wird niemand übersehen, daß in der Welt der Tatsachen der Nihilismus sich den letzten Zielen annähert. Nur war beim Eintritt in seine Zone der Kopf bereits gefährdet, der Leib dagegen noch in Sicherheit. Nun ist es umgekehrt. Das Haupt ist jenseits der Linie. Indessen steigert sich der niedere Dynamismus weiter und drängt zur Explosion. Wir wohnen dem schauerlichen Horten von Geschossen bei, die auf die unterschiedslose Vernichtung großer Teile des Menschengeschlechtes berechnet sind. Es ist kein Zufall, daß hier die gleichen Kräfte wirken, die den Soldaten diskriminieren, der noch Regeln des Kampfes und den Unterschied von Kriegern und Wehrlosen kennt.“
„Wenn sich die Kunst in zahllosen Versuchen mit dieser neuen Lage des Menschen befaßt als mit dem eigentlichen Thema, so geht das über die Schilderung hinaus. Es handelt sich vielmehr um Experimente mit einem höchsten Ziel, das darin liegt, Freiheit und Welt in neuer Harmonie zu einigen. Wo das im Kunstwerk sichtbar wird, muß sich die angestaute Furcht zerteilen wie Nebel im ersten Sonnenstrahl.“
„Es stellt sich nun die Frage nach der Absicht einer solchen Anstrengung. Wie bereits angedeutet, kann sie nicht auf die Eroberung reiner Innenreiche beschränkt werden. Das gehört zu den Vorstellungen, die sich nach der Niederlage ausbreiten. Ebenso ungenügend würde die Beschränkung auf reale Ziele, wie etwa auf die Führung des nationalen Freiheitskampfes, sein. Wir werden vielmehr sehen, daß es sich um Anstrengungen handelt, die auch die nationale Freiheit als ein Hinzutretendes krönt. Wir sind ja nicht lediglich in einen nationalen Zusammenbruch verwickelt, sondern in eine Weltkatastrophe, bei der sich kaum sagen und noch weniger prophezeien läßt, wer eigentlich die Sieger und wer die Besiegten sind.“
„Wer dem Geschehen, das mit so viel Leiden verbunden ist, sinnvolle Züge abzugewinnen sucht, macht sich zum Stein des Anstoßes. Dennoch sind alle Prognosen verfehlt, die auf der reinen Untergangsstimmung beruhen. Wir durchschreiten vielmehr eine Reihe immer deutlicherer Bilder, immer klarerer Prägungen. Auch Katastrophen unterbrechen kaum die Bahn, kürzen sie eher in vielem ab. Es ist kein Zweifel, daß Ziele vorhanden sind. Millionen stehen in ihrem Banne, führen ein Leben, das ohne diese Aussicht unerträglich wäre und das durch bloßen Zwang nicht zu erklären ist. Die Opfer werden vielleicht spät gekrönt, doch nicht vergeblich gewesen sein.“
„Inwiefern ist Freiheitwünschbar, ja überhaupt sinnvoll innerhalb unserer historischen Lage und ihrer Eigenart? Liegt denn nicht ein besonderes und leicht zu unterschätzendes Verdienst des Menschen dieser Zeit gerade darin, daß er in weitem Umfang auf Freiheit zu verzichten weiß? In vielem gleicht er einem Soldaten auf dem Marsche zu unbekannten Zielen oder dem Arbeiter an einem Palast, den andere bewohnen werden; und das ist nicht sein schlechtester Aspekt. Soll man ihn ablenken, solange die Bewegung im Gange ist?“
„Das einzig Tröstliche an diesem Schauspiel liegt darin, daß es sich um ein Gefälle handelt, das in bestimmter Richtung und zu bestimmten Zielen wirkt. Abschnitte wie diesen bezeichnete man früher als Interregnum, während sie sich heute als Werkstättenlandschaft darbieten. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß letzte Gültigkeiten fehlen; und es ist bereits viel erreicht, wenn man erkennt, daß das notwendig ist und auf jeden Fall besser, als wenn man abgebrauchte Elemente als gültig einzuführen oder zu halten sucht. Ähnlich wie unser Auge die Verwendung gotischer Formen in der Maschinenwelt ablehnt, verhält es sich auch im Moralischen.“
„Wichtig ist dabei, daß der Enteignete sich über die Idee des individuellen Raubes erhebe, der an ihm begangen wird. Sonst wird in ihm ein Trauma bleiben, ein inneres Fortbestehen des Verlustes, das dann im Bürgerkriege sichtbar wird. Das Gut ist freilich ausgegeben, und deshalb steht zu befürchten, daß der Enterbte sich auf anderen Gebieten zu entschädigen sucht, als deren nächstes sich der Terror anbietet. Man tut vielmehr gut, sich zu sagen, daß man notwendig und auf alle Fälle in Mitleidenschaft gezogen wird, wenngleich unter verschiedenen und wechselnden Begründungen. Die Lage, vom andern Pol aus gesehen, ist zugleich die des Endlaufes, bei dem der Wettkämpfer die letzten Kräfte ausgibt, im Angesicht des Ziels. Ganz ähnlich handelt es sich bei der Heranziehung des Kapitals auch nicht um reine Ausgabe, sondern um Investierung im Hinblick auf neue und notwendig gewordene Ordnungen, vor allem auf das Weltregiment. Man kann sogar sagen: die Ausgaben sind und waren derart, daß sie entweder auf den Ruin oder auf eine äußerste Möglichkeit hinweisen.“
„Man hat… den Eindruck, daß der Nihilismus als notwendige Phase innerhalb einer auf bestimmte Ziele gerichteten Bewegung begriffen wird. Die Frage, welche Punkte die Bewegung inzwischen erreichte, ist daher ersten Ranges und drängt sich sogleich bei jeder Beurteilung der Lage auf, in allen Gesprächen und Selbstgesprächen, die sich mit der Zukunft beschäftigen. Die Antwort freilich, wie immer man sie formulieren und wie man sie unterbauen möge, wird stets bestreitbar sein. Der Grund liegt darin, daß sie weniger von Tatbeständen abhängt, als von der Lebensstimmung und Lebensaussicht überhaupt. Das macht sie wiederum in anderer und zwingenderer Weise aufschlußreich.“
„Der Schwund, bis zum Überdruß als Nihilismus gesehen, bezeichnet und beschrieben, ist also durchgehend. Er betrifft nicht nur die Individuen, sondern auch ihre Konfigurationen und Bildungen. Unbestreitbar und nicht zu übersehen ist nur der technische Gewinn. In ihm verbergen sich andere Gefahren als die grob auf der Hand liegenden – so etwa die, daß der metaphysische Hunger in der Tat abstürbe und mit ihm die enge Verknüpfung von Glück und Freiheit, die heute noch unabdingbar scheint. Der »Letzte Mensch« würde dann als intelligenter Insektentypus die Welt bevölkern; seine Bauten und Kunstwerke würden Perfektion gewinnen, als Ziel des Fortschrittes und der Evolution, auf Kosten der Freiheit; sie würden wie Falterflügel oder Muschelschalen in großer, aber unfreier Pracht aus dem technischen Kollektiv hervorwachsen, vielleicht für Jahrtausende. Auch die Kunst würde sich von der Freiheit ablösen, könnte technisch produziert werden. Diese Absicht kündet sich unverkennbar in einer der Sprossen, der Augentriebe unseres Stammbaums an.“
„Ziel ist nicht mehr schlechthin die »Aufhebung« eines kapitalistisch verselbständigten Wirtschafts- und eines bürokratisch verselbständigten Herrschaftssystem, sondern die demokratische Eindämmung der kolonialisierenden Übergriffe der Systemimperative auf lebensweltliche Bereiche.“
„Welches ist nun die Richtung dieses Fortschrittes und welchem Ziel strebt er zu? Die Richtung ist offenbar eine beständige Verfeinerung des Weltbildes durch Zurückführung der in ihm enthaltenen realen Elemente auf ein höheres Reales von weniger naiver Beschaffenheit. Das Ziel aber ist die Schaffung eines Weltbildes, dessen Realitäten keinerlei Verbesserung mehr bedürftig sind und die daher das endgültig Reale darstellen. Eine nachweisliche Erreichung dieses Zieles wird und kann niemals gelingen.“
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