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„Ein solches Wagnis kann Erfolg nur dann erhoffen, wenn ihm von den drei großen Mächten der Kunst, der Philosophie und der Theologie Hilfe geboten und Bahn im Ausweglosen gebrochen wird. Wir werden darauf im einzelnen eingehen. Vorausgeschickt sei nur, daß in der Kunst tatsächlich das Thema des umstellten Einzelnen an Raum gewinnt. Naturgemäß wird das besonders in der Menschenschilderung hervortreten, wie sie der Bühne und dem Lichtspiel zukommt, vor allem aber dem Roman. Und wirklich sehen wir die Perspektive wechseln, insofern die Schilderung der fortschreitenden oder sich zersetzenden Gesellschaft abgelöst wird durch die Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem technischen Kollektiv und seiner Welt. Indem der Autor in ihre Tiefe eindringt, wird er selbst zum Waldgänger, denn Autorschaft ist nur ein Name für Unabhängigkeit.“
„Die Grundfrage in diesen Wirbeln lautet, ob man den Menschen von der Furcht befreien kann. Das ist weit wichtiger, als ihn zu bewaffnen oder mit Medikamenten zu versehen. Macht und Gesundheit sind beim Furchtlosen. Dagegen belagert die Furcht auch die bis an die Zähne Gerüsteten — ja gerade sie. Das gleiche läßt sich von jenem sagen, der im Überflüsse schwimmt. Mit Waffen, mit Schätzen bannt man die Bedrohung nicht. Das sind nur Hilfsmittel.“
„Der höhere Rhythmus der Geschichte kann überhaupt dahin gedeutet werden, daß der Mensch sich periodisch wiederentdeckt. Immer sind Mächte, die ihn maskieren wollen, bald totemistische, bald magische, bald technische. Dann wächst die Starre und mit ihr die Furcht. Die Künste versteinern, das Dogma wird absolut. Doch seit den frühesten zeiten wiederholt sich das Schauspiel, daß der Mensch die Maske abnimmt, und dem folgt Heiterkeit, wie sie der Abglanz der Freiheit ist.“
„Furcht und Gefährdung stehen in so enger Verknüpfung, daß sich kaum sagen läßt, welche der beiden Mächte die andere erzeugt. Die Furcht ist wichtiger, daher muß man bei ihr beginnen, wenn man den Knoten lösen will. Vor dem Gegenteil aber, das heißt: vor dem Versuch, von der Gefährdung aus zu beginnen, muß gewarnt werden. Indem man versucht, sich schlechthin gefährlicher zu machen als der Gefürchtete, führt man die Lösung nicht herbei. Das ist das klassische Verhältnis zwischen Roten und Weißen, zwischen Roten und Roten und morgen vielleicht zwischen Weißen und Farbigen. Der Schrecken gleicht einem Feuer, das die Welt verzehren will. Zugleich vervielfacht sich die Furcht. Als zur Herrschaft berufen legitimiert sich jener, der dem Schrecken ein Ende setzt. Das ist derselbe, der zuvor die Furcht bezwungen hat.“
„Wer dem Geschehen, das mit so viel Leiden verbunden ist, sinnvolle Züge abzugewinnen sucht, macht sich zum Stein des Anstoßes. Dennoch sind alle Prognosen verfehlt, die auf der reinen Untergangsstimmung beruhen. Wir durchschreiten vielmehr eine Reihe immer deutlicherer Bilder, immer klarerer Prägungen. Auch Katastrophen unterbrechen kaum die Bahn, kürzen sie eher in vielem ab. Es ist kein Zweifel, daß Ziele vorhanden sind. Millionen stehen in ihrem Banne, führen ein Leben, das ohne diese Aussicht unerträglich wäre und das durch bloßen Zwang nicht zu erklären ist. Die Opfer werden vielleicht spät gekrönt, doch nicht vergeblich gewesen sein.“
„Um das Nichts zu wollen, muß man zunächst nicht wollen. Das trifft nicht für unseren Nihilismus zu. Er will nicht das Nichts, er will ein Etwas nicht: die väterliche Macht.“
„Wer Katastrophen entronnen ist, der weiß, daß er es im Grunde der Hilfe von einfachen Menschen verdankt, über die der Haß, der Schrecken, der Automatismus der Gemeinplätze nicht Macht gewann. Sie widerstanden der Propaganda und ihren Einflüsterungen, die rein dämonisch sind. Unendlicher Segen kann erwachsen, wenn diese Tugend in den Führern der Völker, wie in Augustus, sichtbar wird. Darauf begründen sich Imperien. Der Fürst herrscht nicht, indem er tötet, sondern indem er das Leben schenkt. Darin liegt eine der großen Hoffnungen: daß unter den zahllosen Millionen ein vollkommener Mensch auftrete.“
„Soviel in Kürze, da uns hier andere als politische Ideen beschäftigen. Es handelt sich vielmehr um die Gefährdung und um die Furcht des Einzelnen. Der gleiche Zwiespalt beschäftigt ja auch ihn. An sich belebt ihn der Wunsch, sich seinem Beruf und seiner Familie zu widmen, seinen Neigungen nachzugehen. Dann macht die Zeit sich geltend – sei es, daß die Bedingungen allmählich sich verschlechtern, sei es, daß er sich plötzlich von extremer Seite aus angegangen sieht. Enteignung, Zwangsarbeit und Schlimmeres tauchen in seinem Umkreis auf. Bald wird ihm deutlich, daß Neutralität mit Selbstmord gleichbedeutend wäre – hier heißt es, mit den Wölfen heulen oder gegen sie ins Feld ziehen. Wie findet er in solcher Bedrängnis ein Drittes, das nicht gänzlich in der Bewegung untergeht? Wohl nur in seiner Eigenschaft als Einzelner, in seinem menschlichen Sein, das unerschüttert bleibt. Es ist in solchen Lagen als großes Verdienst zu preisen, wenn die Kenntnis des rechten Weges nicht gänzlich verloren geht.“
„In unserer Lage sind wir verpflichtet, mit der Katastrophezu rechnen und mit ihr schlafen zu gehen, damit sie uns nicht zur Nacht überrascht. Nur dadurch werden wir zu einem Vorrat an Sicherheit gelangen, der das vernunftgemäßeHandeln möglich macht. Bei voller Sicherheit spielt der Gedanke nur mit der Katastrophe; er bezieht sie als unwahrscheinliche Größe in seine Pläne ein und deckt sich durch geringe Versicherungen ab. In unseren Tagen ist das umgekehrt. Wir müssen beinahe das ganze Kapital an die Katastrophe wenden — um gerade dadurch den Mittelweg offenzuhalten, der messerschmal geworden ist.“
„Der Mensch ist zu stark in die Konstruktionen eingetreten, er wird zu billig und verliert den Grund. Das bringt ihn den Katastrophen nahe, den großen Gefahren und dem Schmerz. Sie drängen ihn in das Ungebahnte, führen ihn der Vernichtung zu. Doch seltsam ist es, daß er gerade dort, geächtet, verurteilt, flüchtend, sich selbst begegnet in seiner unaufgeteilten und unzerstörbaren Substanz. Damit durchdringt er die Spiegelbilder und erkennt sich in seiner Macht.“
„Die Zeit versieht uns mit neuen Gleichnissen. Wir haben Formen der Energie erschlossen, die den bisher bekannten gewaltig überlegen sind. Dennoch ist all das eben nur ein Gleichnis; die Formeln, die menschliche Wissenschaft im Zeitwandel findet, führen immer auf längst Bekanntes zu. Die neuen Lichter, die neuen Sonnen sind flüchtige Protuberanzen, die sich vom Geist ablösen. Sie prüfen den Menschen auf sein Absolutes, auf seine wunderbare Macht. Stets kehren die Schicksalsschläge wieder, durch die der Mensch nicht mehr als dieser oder jener, sondern durch die er als solcher in die Schranken gefordert wird.“
„Das alles ist nur scheinbar auf ferne Räume und Vorzeiten verteilt. Es ist vielmehr in jedem Einzelnen verborgen und ihm in Schlüsseln überliefert, damit er sich selbst begreife, in seiner tiefsten und überindividuellen Macht. Darauf zielt jede Lehre, die dieses Namens würdig ist. Mag die Materie sich auch zu Wänden verdichtet haben, die jede Aussicht zu nehmen scheinen, so ist doch der Überfluß ganz nahe, da er im Menschen als Pfund, als überzeitliches Erbteil lebt. Es hängt von ihm ab, ob er den Stab, nur um sich auf dem Lebensweg darauf zu stützen, oder ob er ihn als Szepter ergreifen will.“
„Immer und überall ist hier das Wissen, daß in der wechselvollen Landschaft Ursitze der Kraft verborgen sind und unter der flüchtigen Erscheinung Quellen des Überflusses, kosmischer Macht. Das Wissen bildet nicht nur das symbolisch-sakramentale Fundament der Kirchen, es spinnt sich nichtnur in Geheimlehren und Sekten fort, sondern es stellt auchden Kern der Philosopheme, wie überaus verschieden immer deren Begriffswelt sei. Im Grunde gehen sie auf das gleiche Geheimnis aus, das jedem offen liegt, den es einmal im Leben weihte, sei es nun, daß es als Idee, als Urmonade, als Ding an sich, als Existenz der Heutigen begriffen wird. Wer einmal das Sein berührte, überschritt die Säume, an denen Worte, Begriffe, Schulen, Konfessionen noch wichtig sind. Doch lernte er, das zu ehren, was sie belebt.“
„Hölderlin faßt im Gedichte Christus als die Überhöhung herakleischer und dionysischer Macht. Herakles ist der Urfürst, auf den selbst die Götter im Kampfe gegen die Titanen angewiesen sind. Er legt die Sümpfe trocken, baut Kanäle und macht die Einöden bewohnbar, indem er die Ungeheuer und Unholde erlegt. Er ist der erste der Heroen, auf deren Gräber sich die Polis gründet und deren Verehrung sie erhält. Jede Nation hat ihren Herakles, und heute noch sind Gräber die Mittelpunkte, an denen der Staat sakralen Glanz erhält.“
„Wir sehen also von den Kirchen ab. Dafür, daß sie noch unerschöpftes Gut enthalten, gibt es in unserer Zeit, und gerade in ihr, bedeutende Zeugnisse. Zu ihnen rechnet vor allem das Verhalten ihrer Gegner, in erster Linie das des staates, der unumschränkte Macht erstrebt. Das bringt notwendig Kirchenverfolgung mit. In diesem Stande soll der Mensch als zoologisches Wesen behandelt werden, gleichviel ob ihn die herrschenden Theorien ökonomisch oder andersartig einordnen. Das führt in die Bereiche zunächst des puren Nutzens, sodann der Bestialität.“
„Unter den Menschen ist Sokrates zu nennen, dessen Vorbild nicht nur die Stoa, sondern kühne Geister zu allen Zeiten befruchtete. Wir mögen über Leben und Lehre dieses Mannes verschiedener Ansicht sein; sein Tod zählt zu den größten Ereignissen. Die Welt ist so beschaffen, daß immer wieder das Vorurteil, die Leidenschaften Blut fordern werden, und man muß wissen, daß sich das niemals ändern wird. Wohl wechseln die Argumente, doch ewig unterhält die Dummheit ihr Tribunal. Man wird hinausgeführt, weil man die Götter verachtete, dann weil man ein Dogma nicht anerkannte, dann wieder, weil man gegen eine Theorie verstieß. Es gibt kein großes Wort und keinen edlen Gedanken, in dessen Namen nicht schon Blut vergossen worden ist. Sokratisch ist das Wissen von der Ungültigkeit des Urteils, und zwar von der Ungültigkeit in einem erhabeneren Sinne, als menschliches Für und Wider ihn ermitteln kann. Das wahre Urteil ist von Anbeginn gesprochen: es ist auf die Erhöhung des Opfers angelegt. Wenn daher moderne Griechen eine Revision des Spruches anstreben, so wären damit nur die unnützen Randbemerkungen zur Weltgeschichte um eine weitere vermehrt, und das in einer Zeit, in der unschuldiges Blut in Strömen fließt. Dieser Prozeß ist ewig, und die Banausen, die in ihm als Richter saßen, trifft man auch heute an jeder Straßenecke, in jedem Parlament. Daß man das ändern könne: dieser Gedanke zeichnete von jeher die flachen Köpfe aus. Menschliche Größe muß immer wieder erkämpft werden. Sie siegt, indem sie den Angriff des Gemeinen in der eigenen Brust bezwingt. Hier ruht die wahre historische Substanz, in der Begegnung des Menschen mit sich selbst, das heißt: mit seiner göttlichen Macht. Das muß man wissen, wenn man Geschichte lehren will. Sokrates nannte diesen tiefsten Ort, an dem ihn eine Stimme, schon nicht mehr in Worten faßbar, beriet und lenkte, sein Daimonion. Man könnte ihn auch den Wald nennen.“
„Dies ist die Grundfrage: die Frage der Zeit an den Menschen nach seiner Macht. Sie richtet sich an die Substanz. Alles, was auftritt an feindlichen Reichen, Waffen, Nöten, zählt zur Regie, durch die das Drama vorgetragen wird. Es ist kein Zweifel, daß der Mensch auch diesmal die Zeit bezwingen, das Nichts in seine Höhle verweisen wird.“
„Es wird… vom Einzelnen ein hoher Mut erwartet; man verlangt von ihm, daß er allein, auch gegen die Macht des Staates, dem Recht handhafte Hilfe leistet. Man wird bezweifeln, daß solche Menschen zu finden sind. Indes, sie werden auftauchen und sind dann Waldgänger.“
„Dem Unbefangenen mag zugleich sichtbar werden, daß sich im Besitz auch eine ruhende, wohltätige Macht verbirgt, und zwar nicht nur für den Besitzenden. Die Eigenart des Menschen ist ja nicht nur schaffend, sie ist auch zerstörend, ist sein Daimonion. Wenn die zahlreichen kleinen Grenzen fallen, die sie beschränken, richtet sie sich wie der entfesselte Gulliver im Lande der Zwerge empor. Der also konsumierte Besitz verwandelt sich in unmittelbare, in funktionale Gewalt. Man sieht dann die neuen Titanen, die Übermächtigen. Auch dieses Schauspiel hat seine Grenzen, hat seine Zeit. Es bildet keine Dynastie.“
„Die eigene Art zu wahren ist schwierig — und um so schwieriger, je mehr man mit Gütern belastet ist. Hier droht das Schicksal jener Spanier unter Cortez, die in der »traurigen Nacht« die Last des Goldes, von dem sie sich nicht trennen wollten, zu Boden zog. Dafür ist auch der Reichtum, der zur eigenen Art gehört, nicht nur unvergleichlich wertvoller, er ist die Quelle jedes sichtbaren Reichtums überhaupt. Wer das erkannt hat, wird auch begreifen, daß Zeiten, die auf die Gleichheit aller Menschen hinarbeiten, ganz andere Früchte als die erhofften zeitigen. Sie nehmen nur die Zäune, die Gitter, die sekundäre Verteilung fort und schaffen gerade dadurch Raum. Die Menschen sind Brüder, aber sie sind nicht gleich. In diesen Massen verbergen sich immer Einzelne, die von Natur aus, das heißt in ihrem Sein, reich, vornehm, gütig, glücklich oder mächtig sind. Auf sie strömt Fülle zu im gleichen Maße, in dem die Wüste wächst. Das führt zu neuen Mächten und zu neuem Reichtum, zu neuen Teilungen.“
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