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„Nun leben wir in Zeiten, in denen täglich unerhörte Arten des Zwanges, der Sklaverei, der Ausrottung auftreten können — sei es, daß sie sich gegen bestimmte Schichten richten oder über weite Landstriche ausdehnen. Dagegen ist der Widerstand legal, als die Behauptung der menschlichen Grundrechte, die von Verfassungen im besten Falle garantiert werden, doch die der Einzelne zu vollstrecken hat. Hierfür gibt es wirksame Formen, und der Bedrohte muß auf sie vorbereitet, er muß in ihnen geschult werden; ja es verbirgt sich hier das Hauptfach einer neuen Erziehung überhaupt. Es ist schon ungemein wichtig, den Bedrohten an den Gedanken zu gewöhnen, daß Widerstand überhaupt möglich ist — ist das begriffen, dann wird mit einer winzigen Minderheit die Erlegung des gewaltigen, doch plumpen Kolosses möglich sein. Auch das ist ein Bild, das immer in der Geschichte wiederkehrt und in dem sie ihre mythischen Grundfesten gewinnt. Darauf erheben sich dann Gebäude für lange Zeit.“
„Auch der Machthaber in seinen wechselnden Inkarnationen tritt mit einem Entweder-Oder an den Einzelnen heran. Das ist der zeitliche Vorhang, der sich vor stets demselben und immer wiederkehrenden Schauspiel hebt. Die Zeichen auf dem Vorhang sind nicht das Wichtigste. Das Entweder-Oder des Einzelnen sieht anders aus. Er wird an einen Punkt geführt, an dem er zwischen der ihm unmittelbar verliehenen Qualität des Menschen und der des Verbrechers zu wählen hat. Wie sich der Einzelne in dieser Fragestellung behauptet, davon hängt unsere Zukunft ab.“
„Es gibt also Lagen, die unmittelbar zur moralischen Entscheidung auffordern, und das vor allem dort, wo der Umtrieb seine tiefsten Wirbel erreicht. Das war nicht immer der Fall und wird nicht immer der Fall bleiben. Im allgemeinen bilden die Institutionen und die mit ihnen verknüpften Vorschriften gangbaren Boden; es liegt in der Luft, was Recht und Sitte ist. Natürlich gibt es Verstöße, aber es gibt auch Gerichte und Polizei. Das ändert sich, wenn die Moral durch eine Untergattung der Technik, nämlich durch Propaganda, ersetzt wird und die Institutionen sich in Waffen des Bürgerkrieges umwandeln. Dann fällt die Entscheidung dem Einzelnen zu, und zwar als Entweder-Oder, indem ein drittes Verhalten, nämlich das neutrale, ausgeschlossen wird. Nunmehr liegt in der Nichtbeteiligung, aber auch in der Verurteilung aus dem Nichtbeteiligtsein heraus, eine besondere Art der Infamie.“
„Ein Wunder muß geschehen, wenn man solchen Wirbeln entkommen soll. Das Wunder hat sich unzählige Mal vollzogen, und zwar dadurch, daß inmitten der unbelebten Ziffern der Mensch erschien und Hilfe spendete. Das galt bis in die Gefängnisse, ja gerade dort. In jeder Lage und jedem gegenüber kann so der Einzelne zum Nächsten werden — darin verrät sich sein unmittelbarer, sein fürstlicher Zug. Der Ursprung des Adels liegt darin, daß er Schutz gewährte —Schutz gegenüber der Bedrohung durch Untiere und Unholde. Das ist das Kennzeichen der Vornehmen, und es leuchtet noch auf im Wächter, der einem Gefangenen heimlich ein Stück Brot zusteckt. Das kann nicht verloren gehen, und davon lebt die Welt. Es sind die Opfer, auf denen sie beruht.“
„Wir sahen an anderer Stelle, warum weder das Individuum noch die Masse sich in der Elementarwelt behaupten können, in die wir seit 1914 eingetreten sind. Das heißt nicht, daß der Mensch als Einzelner und Freier verschwinden wird. Er muß vielmehr tief unter seine individuelle Oberfläche hinabloten und wird dann Mittel finden, die seit den Religionskriegen versunken sind. Es ist kein Zweifel daran, daß er aus diesen Titanenreichen im Schmucke einer neuen Freiheit scheiden wird. Sie kann nur durch Opfer erworben werden, denn Freiheit ist kostbar und fordert, daß man vielleicht gerade das Individuelle, vielleicht sogar die Haut der Zeit zum Raube läßt. Der Mensch muß wissen, ob ihm die Freiheit schwerer wiegt – ob er sein So-Sein höher als sein Da-Sein schätzt.“
„Indem wir hier den Vorgang nicht »auf dem Schiffe«, sondern vom Waldgang her betrachten, unterwerfen wir ihn den Forum des souveränen Einzelnen. Von seiner Entscheidung hängt ab, was er als Eigentum betrachten und wie er es behaupten will. In einer Zeit wie dieser wird er gut tun, wenn er geringe Angriffsflächen zeigt. Er wird also bei seiner Bestandsaufnahme zu unterscheiden haben zwischen Dingen, die kein Opfer lohnen, und solchen, für die es zu kämpfen gilt. Sie sind die unveräußerlichen, das echte Eigentum. Sie sind es auch, die man, wie Bias das Seine, mit sich trägt oder die, wie Heraklit sagt, zur eigenen Art gehören, die des Menschen Dämon ist. Zu ihnen zählt auch das Vaterland, das man im Herzen trägt und das von hier, vom Unausgedehnten her, ergänzt wird, wenn es im Ausgedehnten, in seinen Grenzen, Verletzungen erlitt.“
„Auch unfreiwillig wird dieser Typus in das Geschichtsbild treten, denn es gibt Formen des Zwanges, die keine Wahl lassen. Freilich muß Eignung hinzukommen. Auch Wilhelm Tell geriet wider seinen Willen in den Konflikt. Dann aber bewies er sich als Waldgänger, als Einzelner, in dem das Volk sich seiner Urkraft dem Zwingherrn gegenüber bewußt wurde.“
„Die eigene Art zu wahren ist schwierig — und um so schwieriger, je mehr man mit Gütern belastet ist. Hier droht das Schicksal jener Spanier unter Cortez, die in der »traurigen Nacht« die Last des Goldes, von dem sie sich nicht trennen wollten, zu Boden zog. Dafür ist auch der Reichtum, der zur eigenen Art gehört, nicht nur unvergleichlich wertvoller, er ist die Quelle jedes sichtbaren Reichtums überhaupt. Wer das erkannt hat, wird auch begreifen, daß Zeiten, die auf die Gleichheit aller Menschen hinarbeiten, ganz andere Früchte als die erhofften zeitigen. Sie nehmen nur die Zäune, die Gitter, die sekundäre Verteilung fort und schaffen gerade dadurch Raum. Die Menschen sind Brüder, aber sie sind nicht gleich. In diesen Massen verbergen sich immer Einzelne, die von Natur aus, das heißt in ihrem Sein, reich, vornehm, gütig, glücklich oder mächtig sind. Auf sie strömt Fülle zu im gleichen Maße, in dem die Wüste wächst. Das führt zu neuen Mächten und zu neuem Reichtum, zu neuen Teilungen.“
„Hieraus erklären sich sowohl die Unterbrechungen des Fortschrittes und seiner berechenbaren Bahnen als auch die Tatsache, daß in der Lebensgeschichte der Einzelnen und der Völker oft Extreme sich ablösen, ja herausfordern. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung reich an Überraschungen und spottet der Voraussagen. Wer hätte etwa geahnt, daß gerade China, das Land des Tao und des konfuzianischen Familienkultes, der Monotonie der Arbeitswelt mit einem Furor Opfer bringen würde, der im Westen seinesgleichen sucht?“
„Die Deutungen der Astrologie, die ins Große gehen, erscheinen zwingender als die horoskopische Beurteilung der Individuen. So sind auch die großen Bewegungen im Kosmos, die Bahnen der Sonnen, Monde und Planeten berechenbarer als der Weg des Einzelnen.“
„Wenn die Bedeutung der Astrologie nur darin bestände, den Menschen auf den Sinn der großen Kreisläufe und auf die Achtung vor ihnen hinzuweisen, so würde das schon unschätzbar sein, auch ohne überzeugende Beziehung auf das Schicksal des Einzelnen.“
„Der klassische Darwinismus zählt zu den linearen Systemen, doch dringen zyklische Vorstellungen in ihn ein. Die Darstellung der dürren Stammbäume in den Lehrbüchern beginnt sich zu belauben, nimmt Busch- und Kugelformen an. Das »biogenetische Grundgesetz« ist als Beleg des linear aufsteigenden Fortschreitens gedacht. Es läßt sich ebensogut als Wiederholung und Wiedervollzug des Schöpfungsgedankens im Einzelnen auffassen und als Dienst, den die gesamte Natur, ja das Universum selbst, an seiner Bildung zu leisten hat. Das große Theater kreist um ihn herum. Mit jedem Menschen wird die Welt neu konzipiert. In der Entwicklung der Tierstämme herrscht über dem lückenlosen Fortfließen des Bios die Wiederkehr von Bildungselementen, die von der Verwandtschaft unabhängig sind: der ideale Eingriff formender Prinzipien. Jeder der großen Stämme bildet in sich fliegende, schwimmende, landbewohnende Wesen aus, Parasiten und Nachahmer, Raubtiere und Pflanzenfresser, und es ist erstaunlich, welche Ähnlichkeit von Form und Wesen bei größter Fremdheit der Blutlinien auftreten kann. Ein Saurier lebt als Vogel, eine Eule nach Art des Murmeltiers. Wenn man »den Fisch« nicht mehr als eine Art Stafettenläufer im anatomischen System, sondern als Lebensform und -schicksal auffaßt, kann man sagen, daß es Würmer, Schlangen, Saurier, Vögel, Säugetiere und auch Menschen gibt, die Fische sind. Das setzt eine geringfügige Verschiebung der Optik voraus, die eintreten könnte, wenn der Nominalismusstreit in eine neue Instanz getrieben würde, worauf Anzeichen hinweisen. Es gibt viele mögliche Natursysteme neben, außer und über dem unseren.“
„Die ungeheure Vermehrung der Bevölkerungen in unserem Zeitalter bringt dieGefahr mit sich, daß wir den Menschen in ähnlicher Weise sehen. Nicht nur dieMassenhaftigkeit, sondern auch die Gleichförmigkeit nimmt zu und damit die Versuchung, den Einzelnen abstrakt zu nehmen, sei es als mechanische Einheit oder als zoologische Spezies.“
„Der drohenden Verflachung gegenüber bewahrt der Astrologe einen sicheren Blick für die angeborene Würde des Menschen, ohne sich auf abstrakte Formeln von Gleichheit und Freiheit einzulassen; das So-Sein bildet die Voraussetzung dafür. Er meint, daß mit dem Einzelnen, und zwar mit jedem Einzelnen, nicht nur ein neues Bild der Spezies, sondern auch eine neue Welt geboren wird. Damit räumt er ihm einen höheren Rang ein, als abstraktes Denken, abstrakte Zuteilung, ihm gewähren kann.“
„Wenn es gilt, in Masse über einen Einzelnen herzufallen, sind die Deutschen immer dabei; es muß nur ungefährlich sein.“
„Daß es kein Licht ohne Schatten gibt, ist… zu bedenken, wenn man der Vermutung nachgeht, daß die Steinzeit ein Goldenes Alter gewesen sei. Bilder eines Überflusses, wie er nie wieder erreicht wurde, dürfen wir mit Recht annehmen, auch eine Freiheit des Einzelnen, die nur beim Jäger anzutreffen ist und die bereits dem Hirten verloren geht. Man kannte nicht den Krieg, weder in den heroischen Formen des mythischen noch in den strategischen des geschichtlichen Zeitalters. Feindschaft und Streit gab es gewiß, aber keine Grenzen im heutigen Sinn. Vom Blutvergießen, wie im »männermordenden« Streit der homerischen Helden oder gar unserer Schlachten, konnte noch nicht die Rede sein.“
„Die Untergangsvorstellungen anläßlich des Erscheinens des Halleyschen Kometen, 1910…. Der Schock, den zwei Jahre später der Untergang der »Titanic« hervorrief…. Um diese Zeit muß Spengler den Satz konzipiert haben: »Der Untergang des Abendlandes ist nichts Geringeres als das Problem der Zivilisation.« Seitdem hat sich die Bedrohung durch die technische Katastrophe immer enger dem Bewußtsein der Völker und der Einzelnen verknüpft. Ununterbrochen ist die Zahl der Opfer angewachsen, die so gebracht werden. Auch kollektive Vorgänge wie Kriege, Bürgerkriege und Großexperimente nehmen die Form der technischen Katastrophen an. Da liegt es nahe, daß auch der Weltuntergang in dieser Form begriffen wird.“
„Betrachten wir etwa die Freiheiten und Rechte des Einzelnen in ihrem Verhältnis zur Autorität. Sie werden durch die Verfassung bestimmt. Freilich wird man immer wieder und leider wohl auch noch für längere Zeit mit der Verletzung dieser Rechte rechnen müssen, sei es durch den Staat, sei es durch eine Partei, die sich des Staates bemächtigt, sei es durch einen fremden Eindringling oder durch kombinierte Zugriffe. Man kann wohl sagen, daß sich die Massen… in einem Zustand befinden, in dem sie Verfassungsverletzungen kaum noch wahrnehmen. Wo dieses Bewußtsein einmal verloren gegangen ist, wird es künstlich nicht wieder hergestell.“
„Die große Einsamkeit des Einzelnen zählt zu den Kennzeichen der Zeit. Er ist umringt, ist eingeschlossen von der Furcht, die sich gleich Mauern anschiebt gegen ihn. Sie nimmt reale Formen an – in den Gefängnissen, der Sklaverei, der Kesselschlacht. Das füllt die Gedanken, die Selbstgespräche, vielleicht auch die Tagebücher in jahren, in denen er selbst den Nächsten nicht trauen kann.“
„Ich finde, daß man nicht ein einzelnes Geschöpf im besonderen, sondern die Gesamtheit aller Dinge in Betracht ziehen muß, wenn man die Frage untersucht, ob Gottes Werke vollkommen sind. Ein Ding, das für sich allein betrachtet mit Recht als sehr unvollkommen erscheinen könnte, ist vielleicht als Teil des Weltganzen höchst vollkommen.“
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