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Ernst Jünger
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Seite 23
Zitate
„Das wird auch in der Sprache offenbar. Die Sprache gehört zum Eigentum, zur Eigenart, zum Erbteil, zum Vaterland des Menschen, das ihm anheimfällt, ohne daß er dessen Fülle und Reichtum kennt. Die Sprache gleicht nicht nur einem Garten, an dessen Blüten und Früchten der Erbe bis in sein höchstes Alter sich erquickt; sie ist auch eine der großen Formen für alle Güter überhaupt. Wie Licht die Welt und ihre Bildung sichtbar macht, so macht die Sprache sie im Innersten begreifbar und ist nicht fortzudenken als Schlüssel zu ihren Schätzen und Geheimnissen. Gesetz und Herrschaft in den sichtbaren und selbst den unsichtbaren Reichen fangen mit der Benennung an. Das Wort ist Stoff des Geistes und dient als solcher zu den kühnsten Brückenschlägen; es ist zugleich das höchste Machtmittel. Allen Landnahmen im Konkreten und Gedachten, allen Bauten und Heerstraßen, allen Zusammenstößen und Verträgen gehen Offenbarungen, Planungen und Beschwörungen im Wort und in der Sprache und geht das Gedicht voran. ja man kann sagen, daß es zwei Arten der Geschichte gibt, die eine in der Welt der Dinge, die andere in der der Sprache; und diese zweite umschließt nicht nur den höheren Einblick, sondern auch die wirkendere Kraft. Selbst das Gemeine muß sich immer wieder an dieser Kraft beleben, auch wenn es in die Gewalttat stürzt. Aber die Leiden vergehen und verklären sich im Gedicht.“
„Daß der Zugang zu den Quellen durch Stellvertreter, durch Mittler erschlossen werden kann: darin liegt eine der großen Hoffnungen. Wenn an einem Punkte eine echte seinsberÜhrung gelingt, so hat das immer gewaltige Wirkungen. Geschichte, ja überhaupt die Möglichkeit, Zeit zu datieren, beruht auf solchen Vorgängen. Sie stellen Belehnungen mit schöpferischer Urkraft dar, die zeitlich sichtbar wird.“
„Das ist es, was der Mensch wissen will. Hier liegt das Zentrum seiner zeitlichen Unruhe. Das ist die Ursache seines Durstes, der in der Wüste wächst — und diese Wüste ist die Zeit. Je mehr die Zeit sich ausdehnt, je bewußter und zwingender, aber auch je leerer sie in ihren kleinsten Teilen wird, desto brennender wird der Durst nach den ihr überlegenen Ordnungen.“
„Demgegenüber ist es wichtig, zu wissen, daß jeder Mensch unsterblich und daß ein ewiges Leben in ihm ist, unerforschtes und doch bewohntes Land, das er selbst leugnen mag, doch das keine zeitliche Macht ihm rauben kann. Der Zugang bei vielen, ja bei den meisten mag einem Brunnen gleichen, in welchen seit Jahrhunderten Trümmer und Schutt geworfen sind. Räumt man sie fort, so findet man am Grunde nicht nur die Quelle, sondern auch die alten Bilder vor. Der Reichtum des Menschen ist unendlich größer, als er ahnt. Es ist ein Reichtum, den niemand rauben kann und der im Lauf der Zeiten auch immer wieder sichtbar anflutet, vor allem, wenn der Schmerz die Tiefen aufgegraben hat.“
„Die Panik, die man heute weithin beobachtet, ist bereits der Ausdruck eines angezehrten Geistes, eines passiven Nihilismus, der den aktiven herausfordert. Der freilich ist am leichtesten einzuschüchtern, der glaubt, daß, wenn man seine flüchtige Erscheinung auslöscht, alles zu Ende sei. Das wissen die neuen Sklavenhalter, und darauf gründet sich die Bedeutung der materialistischen Lehren für sie. Sie dienen im Aufstand zur Erschütterung der Ordnung und sollen nach errungener Herrschaft den Schrecken verewigen. Es soll keine Bastionen mehr geben, auf denen der Mensch sich unangreifbar und damit furchtlos fühlt.“
„Ein solches Wort kann nur durch einen bereits geschwächten Geist geprägt werden. Es wird jeden unangenehm berühren, der eine Vorstellung von der Unsterblichkeit und den auf sie sich gründenden Ordnungen besitzt. Wo es Unsterblichkeit gibt, ja wo nur der Glaube an sie vorhanden ist, da sind auch Punkte anzunehmen, an denen der Mensch durch keine Macht und Übermacht der Erde erreicht oder beeinträchtigt, geschweige denn vernichtet werden kann. Der Wald ist Heiligtum.“
„Man könnte befürchten, daß der Schwund sich einem Punkte nähert, an dem ernicht mehr als solcher empfunden wird – einem Punkt, an dem Komfort das Glück ersetzt, der Kunsttrieb durch Maschinen befriedigt und Schönheit meßbar wird. Es bleiben aber immer, wenn nicht andere Räume, so doch andere Zeiten zum Vergleich, etwa Zeiten, von denen Mozarts Musik kündet. Daß ein Mangel empfunden wird, verrät auch das außerordentliche Erstaunen, das die Massen ergreift, wenn ein Weiser in ihren Gesichtskreis gerät.“
„Der Mensch, der keine Zeit hat – und das ist eines unserer Kennzeichen – kann schwerlich Glück haben. Notwendig verschließen sich ihm große Quellen und Mächte wie die der Muße, des Glaubens, der Schönheit in Kunst und Natur. Damit entgeht ihm die Krönung, der Segen der Arbeit, der in Nicht-Arbeit, und die Ergänzung, der Sinn des Wissens, der im Nicht-Wissen liegt. Das wird im Absinken dessen, was wir Kultur nennen, unmittelbar anschaulich.“
„Mit der Wiederkehr zieht etwas Stärkeres in den Menschen ein als die Erinnerung. Es wird identisch mit ihm, wie Mann und Frau identisch werden in der Zeugung, in der zeitlose Schöpfungsmacht in das zeitliche Leben wiederkehrt. Ohne Wiederkehr gibt es nur noch Daten, doch keine Feste mehr.“Ernst Jünger, An der Zeitmauer, 1959, in: Sämtliche Werke, 2. Abteilung, Band 8, S. 437„Die Menschen werden mächtiger und reicher, aber nicht glücklicher. Im Maße, in dem die Mittel wachsen, entschwindet die Zufriedenheit. Wahrscheinlich sind dieser Schwund und dieses Wachstum aufeinander angelegt: es muß Glück konsumiert werden.“
„Der astronomische und der astrologische Blick auf die Sterne sind verschieden wie Newtons und Goethes Blick auf die Farbenwelt. Hier handelt es sich um quantitative Messung, dort um unmeßbare Qualität. Das gilt, wie für die Farben, auch für die Zeit. Und immer wieder werden sich Menschen finden, die die Qualität der Zeit für wichtiger halten als ihre Meßbarkeit. Jeder weiß es im Grund. DieZeit gibt nicht nur den Lebensrahmen, sie ist auch das Schicksalskleid. Sie setzt nicht nur dem Leben seine Grenzen; sie ist auch sein Eigentum. Mit der Geburt eines jeden Menschen steigt seine Zeit herauf.“
„Dem Menschen hat von jeher sein Da-Sein mehr gegolten als sein So-Sein: die Schicksalslinie, ihre Länge, ihr Glück und Unglück mehr als der eigentliche Stoff des Schicksals, der allem Bedeutung gibt. Macht gilt ihm mehr als Einsicht, Reichtum mehr als Charakter, die Länge des Lebens mehrals sein Inhalt, Schein mehr als unveräußerliches Sein.“
„Selbst in Epochen, in denen die Sprache zum Mittel von Technikern und Bürokraten herabgesunken ist und wo sie, um Frische vorzutäuschen, beim Rotwelsch Anleihen versucht, bleibt sie in ihrer ruhenden Macht ganz ungeschwächt. Das Graue, Verstaubte haftet nur ihrer Oberfläche an. Wer tiefer gräbt, erreicht in jeder Wüste die brunnenführende Schicht. Und mit den Wassern steigt neue Fruchtbarkeit herauf.“
„Es ist ein alter Irrtum, daß aus dem Zustand der Sprache darauf geschlossen werden könne, ob ein Dichter zu erwarten sei oder nicht. Die Sprache kann sich in vollem Verfall befinden, und ein Dichter kann aus ihr hervortreten wie ein Löwe, der aus der Wüste kommt. Ebenso kann nach hoher Blüte die Frucht ausbleiben.“
„Wichtig ist dabei, daß der Enteignete sich über die Idee des individuellen Raubes erhebe, der an ihm begangen wird. Sonst wird in ihm ein Trauma bleiben, ein inneres Fortbestehen des Verlustes, das dann im Bürgerkriege sichtbar wird. Das Gut ist freilich ausgegeben, und deshalb steht zu befürchten, daß der Enterbte sich auf anderen Gebieten zu entschädigen sucht, als deren nächstes sich der Terror anbietet. Man tut vielmehr gut, sich zu sagen, daß man notwendig und auf alle Fälle in Mitleidenschaft gezogen wird, wenngleich unter verschiedenen und wechselnden Begründungen. Die Lage, vom andern Pol aus gesehen, ist zugleich die des Endlaufes, bei dem der Wettkämpfer die letzten Kräfte ausgibt, im Angesicht des Ziels. Ganz ähnlich handelt es sich bei der Heranziehung des Kapitals auch nicht um reine Ausgabe, sondern um Investierung im Hinblick auf neue und notwendig gewordene Ordnungen, vor allem auf das Weltregiment. Man kann sogar sagen: die Ausgaben sind und waren derart, daß sie entweder auf den Ruin oder auf eine äußerste Möglichkeit hinweisen.“
„Die Technik ist jedoch, wie wir sahen, keineswegs ein Instrument des Fortschritts, sondern ein Mittel zur Mobilisierung der Welt durch die Gestalt des Arbeiters, und solange dieser Vorgang läuft, ist mit Bestimmtheit vorauszusagen, daß man auf keine ihrer verheerenden Eigenschaften verzichten wird. Im übrigen vermag auch die höchste Steigerung der technischen Anstrengung nicht mehr zu erzielen als den Tod, der zu allen Zeiten gleich bitter ist. Die Ansicht, daß dieTechnik als Waffe eine tiefere Feindschaft zwischen den Menschen bewirkt, ist daher ebenso irrig wie die entsprechende, daß sie dort, wo sie als Verkehr erscheint, eine Festigung des Friedens zur Folge hat. Ihre Aufgabe ist eine ganz andere, nämlich die, sich für den Dienst einer Macht geeignet zu machen, die über Krieg und Frieden und damit über die Sittlichkeit oder Gerechtigkeit dieser Zustände inhöchster Instanz bestimmt.“
„Die Revolutionen künden sich in den Sternen an. Das war längst so, ehe Menschen die Erde bewohnt haben. Dort sind die Maßstäbe zur Einteilung der Weltzeit, vom flüchtigen Augenblick bis zu den Lichtjahren. Daher deuten sich die tiefsten Veränderungen der menschlichen Ordnung in der Sternkunde an. Der Blick auf den gestirnten Himmel wirft die erste, die unsichtbare Bahn. Dem folgen die Erscheinungen. Die Moderne beginnt und endet mit der kopernikanischen Revolution. Jeder neue Blick auf das All hat einen metaphysischen Hintergrund. Das All und das Auge verändern sich gleichzeitig. Das gilt auch nach der Erfindung der Fernrohre und innerhalb komplizierter Berechnungen. In die Erfassung großer Zeitalter teilen sich heute Geschichte und Naturgeschichte, ohne uns zu befriedigen, obwohl ihnen nicht nur eine Fülle neuen Materials, sondern auch neuer Meßgeräte und Uhren zur Verfügung steht. Die Einteilung läßt sich auf eine Gerade oder auf einen Kreis abtragen, je nachdem, ob ein lineares oder ein zyklisches System angenommen wird. Eine Verbindung von beiden gibt die Spirale, in der die Entwicklung sich sowohl fortbewegt als auch wiederkehrt, wenngleich auf verschiedenen Ebenen. Es scheint, daß zyklische Systeme dem Geist gemäßer sind. Wir bauen auch die Uhren rund, obwohl kein logischer Zwang dazu besteht. Auch Katastrophen werden als wiederkehrend angenommen, so Fluten und Verwüstung, Feuer und Eiszeiten. Das periodische Wachsen und Schwinden der weißen Kappen hat etwas Pulsierendes. Man hat den Eindruck, daß es noch einer kleinen Änderung bedürfte, und ein indisches Philosophem würde konzipiert.“
„Hieraus erklären sich sowohl die Unterbrechungen des Fortschrittes und seiner berechenbaren Bahnen als auch die Tatsache, daß in der Lebensgeschichte der Einzelnen und der Völker oft Extreme sich ablösen, ja herausfordern. In dieser Hinsicht ist die Entwicklung reich an Überraschungen und spottet der Voraussagen. Wer hätte etwa geahnt, daß gerade China, das Land des Tao und des konfuzianischen Familienkultes, der Monotonie der Arbeitswelt mit einem Furor Opfer bringen würde, der im Westen seinesgleichen sucht?“
„Ebenso lassen sich über das Schicksal eines Schwarmes mit größerer Sicherheit Voraussagen treffen als über das der Geschöpfe, die ihn bilden; ihre kleinen Bewegungen verschwinden in den größeren Abläufen. Über das Schicksal eines Herings, eines Maikäfers pflegen wir kaum nachzusinnen, obwohl das Auftreten der Art in der Schwarmzeit selbst den Kindern zu denken gibt.“
„Die Deutungen der Astrologie, die ins Große gehen, erscheinen zwingender als die horoskopische Beurteilung der Individuen. So sind auch die großen Bewegungen im Kosmos, die Bahnen der Sonnen, Monde und Planeten berechenbarer als der Weg des Einzelnen.“
„Wenn die Bedeutung der Astrologie nur darin bestände, den Menschen auf den Sinn der großen Kreisläufe und auf die Achtung vor ihnen hinzuweisen, so würde das schon unschätzbar sein, auch ohne überzeugende Beziehung auf das Schicksal des Einzelnen.“
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