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Ernst Jünger
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Seite 21
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„Der Widerstand des Waldgängers ist absolut, er kennt keine Neutralität, keinen Pardon, keine Festungshaft. Er erwartet nicht, daß der Feind Argumente gelten läßt, geschweige denn ritterlich verfährt. Er weiß auch, daß, was ihn betrifft, die Todesstrafe nicht aufgehoben wird. Der Waldgänger kennt eine neue Einsamkeit, wie sie vor allem die satanisch angewachsene Bosheit mit sich bringt – ihre Verbindung mit der Wissenschaft und dem Maschinenwesen, die zwar kein neues Element, doch neue Erscheinungen in die Geschichte bringt.“
„Die Totale Mobilmachung ist in ein Stadium eingetreten, das an Bedrohlichkeit noch das vergangene übertrifft.“
„Wir leben in Zeiten, in denen Krieg und Frieden schwer zu unterscheiden sind. Die Grenzen zwischen Dienst und Verbrechen sind durch Schattierungen verwischt. Das täuscht selbst scharfe Augen, denn in jeden Einzelfall fließt ja die Zeitverwirrung, die Allgemeinschuld ein. Erschwerend wirkt ferner, daß Fürsten fehlen und daß die Mächtigen alle über die Stufen der Parteiung aufgestiegen sind. Das mindert vom Ursprung an die Begabung für Akte, die sich auf das Ganze richten, also für Friedensschlüsse, Urteile, Feste, Spendungen und Mehrungen. Die Kräfte wollen vielmehr vom Ganzen leben; sie sind unfähig, es zu erhalten und zu mehren durch inneren Überfluß: durch Sein. So kommt es zum Verschleiß des Kapitals durch siegreiche Fraktionen, für Tageseinsichten und -absichten, wie das bereits der alte Marwitz befürchtete.“
„Dazu kommt, daß die Erfindungen den Krieg ins Uferlose treiben und die neuen Waffen jede Unterscheidung zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern aufheben. Damit fällt die Voraussetzung, aus der das Standesbewußtsein des Soldaten lebt, geht der Verfall der ritterlichen Formen Hand in Hand. Noch Bismarck lehnte den Vorschlag ab, Napoleon III. vor ein Gericht zu ziehen. Er hielt sich als Gegner nicht für zuständig. Inzwischen ist es üblich geworden, den Besiegten rechtsförmlich zu verurteilen. Die Streitigkeiten, die sich an solche Sprüche knüpfen, sind überflüssig und entbehren der Grundlage. Parteien können nicht urteilen. Sie setzen den Gewaltakt fort. Sie entziehen auch den Schuldigen seinem Gericht.“
„Dem Soldaten ist von den Aufgaben des Herakles im wesentlichen die erste verblieben: er hat von Zeit zu Zeit den Augiasstall der Politik zu reinigen. Bei diesem Geschäft wird es immer schwieriger, saubere Hände zu behalten und den Krieg auf eine Weise zu führen, die ihn einerseits vom Handwerk der Polizei und andererseits von dem des Schlachters oder selbst des Abdeckers hinreichend trennt. Den neuen Auftraggebern ist daran auch weniger gelegen als an der Ausbreitung des Schreckens um jeden Preis.“
„Wie gegenüber den Kirchen, so fragt der Waldgänger auch hinsichtlich der Rüstung nicht, ob und wie weit sie vorgeschritten, ja ob sie überhaupt vorhanden ist oder nicht. Das sind Vorgänge auf dem Schiff.“
„Hier eröffnet sich auch die Aussicht auf eine der großen Gefahren unserer Zeit, die Übervölkerung, wie etwa Bouthoul sie in seinem Buche »Hundert Millionen Tote« geschildert hat. Die Hygiene sieht sich vor der Aufgabe, die gleichen Massen einzudämmen, deren Entstehung sie ermöglichte. Doch damit überschreiten wir das Thema des Waldganges. Wer mit ihm rechnet, für den taugt die Luft der Treibhäuser nicht.“
„Die Bildung von Großräumen und vor allem ihr wachsender Bürgerkriegscharakter weist daruf hin, daß es sich nicht mehr um Bewegungen von Nationalstaaten handelt, sondern um die Vorbereitung einer umfassenden Einheit, innerhalb deren dann wiederum ein größerer Schutz und freieres Leben der Völker und Vaterländer zu erwarten ist.“
„Der Waldgänger ist der konkrete Einzelne, er handelt im konkreten Fall. Er braucht nicht Theorien, nicht von Parteijuristen ausgeheckte Gesetze, um zu wissen, was rechtens ist. Er steigt zu den noch nicht in die Kanäle der Institutionen verteilten Quellen der Sittlichkeit hinab. Hier werden die Dinge einfach, falls noch Unverfälschtes in ihm lebt. Wir sahen die große Erfahrung des Waldes in der Begegnung mit dem eigenen Ich, dem unverletzbaren Kerne, dem Wesen, aus dem sich die zeitliche und individuelle Erscheinung speist. Diese Begegnung, die sowohl auf die Gesundung wie auf die Verbannung der Furcht so großen Einfluß übt, ist auch moralisch von höchstem Rang. Sie führt auf jene Schicht, die allem Sozialen zugrunde liegt und urgemeinsam ist. Sie führt auf den Menschen zu, der unter dem Individuellen den Grundstock bildet und von dem die Individuationen ausstrahlen. In dieser Zone ist nicht nur Gemeinsamkeit; hier ist Identität. Das ist es, was das Symbol der Umarmung andeutet. Das Ich erkennt sich im Anderen – es folgt der uralten Weisheit des »Das bist du«. Der andere kann der Geliebte, er kann auch der Bruder, der Leidende, der Schutzlose sein. Indem das Ich ihm Hilfe spendet, fördert es sich zugleich im Unvergänglichen. Darin bestätigt sich die Grundordnung der Welt.“
„Im Waldgang hat man sich mit Krisen abzufinden, in denen weder Gesetz noch Sitte standhalten. In solchen Krisen wird man ähnliche Beobachtungen machen können wie bei den Wahlen, die wir am Eingang schilderten. Die Massen werden der Propaganda folgen, die sie in ein technisches Verhältnis zu Recht und Moral versetzt. Nicht so der Waldgänger. Es ist ein harter Entschluß, den er zu fassen hat: auf alle Fälle sich die Prüfung dessen vorzubehalten, für das man von ihm Zustimmung oder Mitwirkung verlangt. Die Opfer werden bedeutend sein. Jedoch verbindet sich mit ihnen auch ein unmittelbarer Gewinn an Souveränität. Die Dinge liegen freilich so, daß dieser Gewinn nur von den wenigsten als solcher empfunden wird. Herrschaft wird aber nur von jenen kommen können, denen die Kenntnis der menschlichen Urmaße erhalten blieb und die durch keine Übermacht zum Verzicht auf menschliches Handeln zu bringen sind. Wie sie das leisten, bleibt eine Frage des Widerstandes, der durchaus nicht immer offen geführt zu werden braucht. Das zu verlangen, gehört zwar zu den Lieblingstheorien der Unbeteiligten, bedeutet aber praktisch wohl das gleiche, als wenn man die Liste der letzten Menschen den Tyrannen auslieferte.“
„Wir haben das in der Betrachtung der Arbeitswelt im einzelnen ausgeführt. Man muß schon die Gesetze der Landschaft kennen, in der man lebt. Andererseits bleibt das wertende Bewußtsein unbestechlich, und hierauf beruht der Schmerz, beruht die Wahrnehmung des Verlustes, die unvermeidlich ist. Der Anblick eines Bauplatzes kann nicht das ruhende Behagen geben, das ein Meisterwerk gewährt, und ebenso wenig können die Dinge vollkommen sein, die man dort erblickt. Im Maße, in dem das bewußt wird, ist Ehrlichkeit vorhanden, und in ihr deutet sich der Respekt vor höheren Ordnungen an. Diese Ehrlichkeit schafft ein notwendiges Vakuum, wie es etwa in der Malerei sichtbar wird und das seine theologischen Entsprechungen besitzt. Das Bewußtsein des Verlustes kommt auch darin zum Ausdruck, daß jede ernstzunehmende Lagebeurteilung sich entweder auf ein Vergangenes oder auf ein Zukünftiges bezieht. Sie führt entweder zur Kulturkritik oder zur Utopie, von den zyklischen Lehren abgesehen. Der Schwund der rechtlichen und moralischen Bindungen zählt auch zu den großen Themen der Literatur. Insbesondere der amerikanische Roman spielt in Bereichen, in denen nicht die geringste Verbindlichkeit mehr herrscht. Er ist auf den nackten Fels geraten, den anderswo noch der Humus sich zersetzender Schichten bedeckt.“
„Das einzig Tröstliche an diesem Schauspiel liegt darin, daß es sich um ein Gefälle handelt, das in bestimmter Richtung und zu bestimmten Zielen wirkt. Abschnitte wie diesen bezeichnete man früher als Interregnum, während sie sich heute als Werkstättenlandschaft darbieten. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß letzte Gültigkeiten fehlen; und es ist bereits viel erreicht, wenn man erkennt, daß das notwendig ist und auf jeden Fall besser, als wenn man abgebrauchte Elemente als gültig einzuführen oder zu halten sucht. Ähnlich wie unser Auge die Verwendung gotischer Formen in der Maschinenwelt ablehnt, verhält es sich auch im Moralischen.“
„Lange Zeiten der Ruhe begünstigen gewisse optische Täuschungen. Zu ihnen gehört die Annahme, daß sich die Unverletzbarkeit der Wohnung auf die Verfassung gründe, durch sie gesichert sei. In Wirklichkeit gründet sie sich auf den Familienvater, der, von seinen Söhnen begleitet, mit der Axt in der Tür erscheint. Nur wird diese Wahrheit nicht immer sichtbar und soll auch keinen Einwand gegen Verfassungen abgeben. Es gilt das alte Wort: »Der Mann steht für den Eid, nicht aber der Eid für den Mann.« Hier liegt einer der Gründe, aus denen die neue Legislatur im Volke auf so geringe Anteilnahme stößt. Das mit der Wohnung liest sich nicht übel, nur leben wir in Zeiten, in denen ein Beamter dem anderen die Klinke in die Hand drückt.“
„Es wird… vom Einzelnen ein hoher Mut erwartet; man verlangt von ihm, daß er allein, auch gegen die Macht des Staates, dem Recht handhafte Hilfe leistet. Man wird bezweifeln, daß solche Menschen zu finden sind. Indes, sie werden auftauchen und sind dann Waldgänger.“
„In diesem Sinne ist das Eigentum existentiell, am Träger haftend und unablösbar verknüpft mit seinem Sein. Wie die »unsichtbare Harmonie bedeutender ist als die sichtbare«, so ist auch dieses unsichtbare Eigentum das wirkliche. Besitz und Güter werden fragwürdig, wenn sie nicht in dieser Schicht verwurzelt sind. Das wurde deutlich gemacht. Die ökonomischen Bewegungen scheinen gegen das Eigentum gerichtet; sie stellen in Wahrheit die Eigentümer fest. Auch das ist eine Frage, die immer von neuern aufgeworfen und immer wieder beantwortet wird.“
„Nun leben wir in Zeiten, in denen täglich unerhörte Arten des Zwanges, der Sklaverei, der Ausrottung auftreten können — sei es, daß sie sich gegen bestimmte Schichten richten oder über weite Landstriche ausdehnen. Dagegen ist der Widerstand legal, als die Behauptung der menschlichen Grundrechte, die von Verfassungen im besten Falle garantiert werden, doch die der Einzelne zu vollstrecken hat. Hierfür gibt es wirksame Formen, und der Bedrohte muß auf sie vorbereitet, er muß in ihnen geschult werden; ja es verbirgt sich hier das Hauptfach einer neuen Erziehung überhaupt. Es ist schon ungemein wichtig, den Bedrohten an den Gedanken zu gewöhnen, daß Widerstand überhaupt möglich ist — ist das begriffen, dann wird mit einer winzigen Minderheit die Erlegung des gewaltigen, doch plumpen Kolosses möglich sein. Auch das ist ein Bild, das immer in der Geschichte wiederkehrt und in dem sie ihre mythischen Grundfesten gewinnt. Darauf erheben sich dann Gebäude für lange Zeit.“
„Auch der Machthaber in seinen wechselnden Inkarnationen tritt mit einem Entweder-Oder an den Einzelnen heran. Das ist der zeitliche Vorhang, der sich vor stets demselben und immer wiederkehrenden Schauspiel hebt. Die Zeichen auf dem Vorhang sind nicht das Wichtigste. Das Entweder-Oder des Einzelnen sieht anders aus. Er wird an einen Punkt geführt, an dem er zwischen der ihm unmittelbar verliehenen Qualität des Menschen und der des Verbrechers zu wählen hat. Wie sich der Einzelne in dieser Fragestellung behauptet, davon hängt unsere Zukunft ab.“
„Es gibt also Lagen, die unmittelbar zur moralischen Entscheidung auffordern, und das vor allem dort, wo der Umtrieb seine tiefsten Wirbel erreicht. Das war nicht immer der Fall und wird nicht immer der Fall bleiben. Im allgemeinen bilden die Institutionen und die mit ihnen verknüpften Vorschriften gangbaren Boden; es liegt in der Luft, was Recht und Sitte ist. Natürlich gibt es Verstöße, aber es gibt auch Gerichte und Polizei. Das ändert sich, wenn die Moral durch eine Untergattung der Technik, nämlich durch Propaganda, ersetzt wird und die Institutionen sich in Waffen des Bürgerkrieges umwandeln. Dann fällt die Entscheidung dem Einzelnen zu, und zwar als Entweder-Oder, indem ein drittes Verhalten, nämlich das neutrale, ausgeschlossen wird. Nunmehr liegt in der Nichtbeteiligung, aber auch in der Verurteilung aus dem Nichtbeteiligtsein heraus, eine besondere Art der Infamie.“
„Ein Wunder muß geschehen, wenn man solchen Wirbeln entkommen soll. Das Wunder hat sich unzählige Mal vollzogen, und zwar dadurch, daß inmitten der unbelebten Ziffern der Mensch erschien und Hilfe spendete. Das galt bis in die Gefängnisse, ja gerade dort. In jeder Lage und jedem gegenüber kann so der Einzelne zum Nächsten werden — darin verrät sich sein unmittelbarer, sein fürstlicher Zug. Der Ursprung des Adels liegt darin, daß er Schutz gewährte —Schutz gegenüber der Bedrohung durch Untiere und Unholde. Das ist das Kennzeichen der Vornehmen, und es leuchtet noch auf im Wächter, der einem Gefangenen heimlich ein Stück Brot zusteckt. Das kann nicht verloren gehen, und davon lebt die Welt. Es sind die Opfer, auf denen sie beruht.“
„Sie mußten auch erfahren, daß jeder Rationalismus zum Mechanismus und jeder Mechanismus zur Folter führt, als seiner logischen Konsequenz. Das hat man im 19. Jahrhundert noch nicht gesehen.“
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