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Ernst Jünger
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Seite 14
Zitate
„Man besitzt Macht, insofern man über motorische Energie verfügt – letzten Endes ist bereits der Wille zur Macht eine hinreichende Legitimation. Ebenso sind die Symbole, auf die man in millionenfacher Wiederholung stößt, Ausdruck einer Bewegungssprache, so der Flügel, die Welle, die Schraube, das Rad. Dieser Prozeß mündet aus in die reine Bewegung der selbständig gewordenen Teile, also in dieAnarchie, oder er wird eingefangen und gegliedert durch Mächte statischer Art.“
„Der Liberalismus hältsich seit langem eine eigentümliche Art von Hofnarren, deren Aufgabe darin besteht, ihm Wahrheiten zu sagen, die ungefährlich geworden sind.“
„Das Maß der Freiheit des Einzelnen entspricht genau dem Maße, in dem er Arbeiter ist. Arbeiter, Vertreter einer großen, in die Geschichte eintretenden Gestalt zu sein, bedeutet, Anteil zu haben an einem neuen, vom Schicksal zur Herrschaft bestimmten Menschentum.“
„Ein früher Typus ist der Dandy; er verfügt noch über die äußeren Maße einer Kultur, deren Sein zu schwinden beginnt. Die Prostitution gehört hierher als von den Symbolen entblößte Geschlechtlichkeit. Es tritt dann nicht nur das Käufliche hinzu, sondern auch die Meßbarkeit. Die Schönheit wird in Ziffern schätzbar, wird weithin allgemein. Die umfassendste Reduktion ist die auf die reine Kausalität; zu ihren Untergattungen zählt die ökonomische Betrachtung der geschichtlichen und sozialen Welt. Nach und nach lassen sich alle Gebiete auf diesen Nenner bringen, sogar der Kausalität so sehr entzogene Residenzen wie der Traum.“
„Wenn man die negative Seite der Reduktion betrachtet, so erscheint als ihr vielleicht bedeutendstes Kennzeichen die Zurückführung der Zahl auf die Ziffer oder auch der Symbole auf die entblößten Beziehungen. Das erzeugt dann den Eindruck einer von Gebetsmühlen erfüllten Einöde, die unter dem gestirnten Himmel kreist. Ununterbrochen wird die Meßbarkeit aller Verhältnisse wichtiger. Man konsekriert noch, obwohl man nicht mehr an die Verwandlung glaubt. Dann deutet man die Verwandlung um, macht sie verständlicher.“
„Schon oft wird in der Menschengeschichte, sei es an Einzelnen, sei es an kleineren oder größeren Einheiten, der Sturz der unsterblichen Hierarchien mit seinen Folgen. sichtbar geworden sein. Immer standen dann mächtige Reserven zur Verfügung, sei es in der elementaren oder auch in der gebildeten Welt. Es gab noch wilden Grund in Fülle, und ganze Kulturen blieben unberührt. Heute ergreift der Schwund, der ja nicht lediglich Schwund ist, sondern zugleich Beschleunigung, Vereinfachung, Potenzierung und Trieb zu unbekannten Zielen, die ganze Welt.“
„Noch viele Felder ließen sich nennen, auf denen der Schwund ganz deutlich wird, wie etwa das der Kunst oder des Erotischen. Es handelt sich eben um einen Prozeß, der das Ganze angreift und endlich zu höchst sparsamen, grauen oder auch ausgebrannten Landschaften führt. Im besten Falle treibt der Kristallismus hervor. Das EigentÜmliche daran ist nicht das Neuartige. Es ist vielmehr das weithin die Welt Umfassende. Zum ersten Male beobachten wir Nihilismus als Stil.“
„An diesen Symptomen fällt auf den ersten Blick ein Hauptkennzeichen auf, das sich als das der Reduktion bezeichnen läßt. Die nihilistische Welt ist ihrem Wesen nach eine reduzierte und weiter sich reduzierende, wie das notwendig der Bewegung zum Nullpunkt hin entspricht. Das in ihr herrschende Grundgefühl ist das der Reduktion und des Reduziertwerdens. Dagegen kommt die Romantik nicht mehr an, bringt nur einEchoder entschwundenen Wirklichkeit hervor. Der überfluß versiegt; der Mensch empfindet sich als Ausgebeuteter in mannigfachen und nicht nur ökonomischen Beziehungen.“
„Wenn sich der Nihilismus als spezifisch böse ansprechen ließe, dann wäre die Diagnose günstiger. Gegen das Böse gibt es bewährte Heilmittel. Beunruhigender ist die Verschmelzung, ja selbst die völlige Verwischung des Guten und des Bösen, die oft dem schärfsten Auge sich entzieht.“
„Selbst bei den großen Untaten tritt das Böse kaum als Beweggrund auf; es müßte denn ein Böser kommen, der sich den nihilistischen Vorgang zunutze macht. Solche Naturen bringen eher sachliche Störungen mit. Indifferenz gilt als geeigneter. Beunruhigend ist weniger, daß Menschen mit krimineller Vorgeschichte gefährlich werden, als daß Passanten, die man an jeder Straßenecke und hinter jedem Schalter sieht, in den moralischen Automatismus eintreten. Das deutet auf den Klimasturz. Wenn sich das Wetter bessert, sieht man dieselben Existenzen &iedlich an den gewohnten Ort zurückkehren. Der Nihilist ist kein Verbrecher im hergebrachten Sinne, denn dazu müßte noch gültige Ordnung sein. Aus demselben Grunde aber spielt das Verbrechen auch keine Rolle für ihn; es tritt aus dem moralischen Zusammenhange über in den automatischen. Wo der Nihilismus zum normalen Zustande wird, bleibt dem einzelnen nur noch die Wahl zwischen Arten des Unrechtes. Die richtenden Werte können jedoch nicht von Orten kommen, an denen man noch nicht in den Vorgang einbezogen ist. Die neue Flut wird vielmehr von den Tiefpunkten aus ansteigen.“
„Es gibt eine nihilistische Medizin, deren Kennzeichen darin liegt, daß sie nicht heilen will, sondern andere Zwecke verfolgt, und diese Schule breitet sich aus. Ihr entspricht ein Patient, der in der Krankheit verharren will. Auf der anderen Seite läßt sich von einer speziellen Gesundheit sprechen, die in den Kreis der nihilistischen Erscheinungen gehört, von einer propagandistischen Frische, die einen starken Eindruck der physischen Unbedenklichkeit erweckt. Man wird sie bei den privilegierten Schichten treffen, sowie in Phasen der Konjunktur, die mit Komfort verbunden sind.“
„Ganz eng verbunden mit diesem Ablauf, in dem der Staat zum nihilistischen Objekt wird, ist das Auftreten großstädtischer Massenparteien, die sowohl rational als leidenschaftlich vorgehen. Im Falle des Erfolges können sie dem Staat so ähnlich werden, daß zwischen beiden schwer zu unterscheiden ist. Die siegreiche Macht im Bürgerkriege bildet Organe, die denen des Staates korrespondieren, sei es zur Infiltration oder nach Art der Saugnäpfe. Endlich kommt es zu neuen Verwachsungen.“
„Inzwischen hat sich erwiesen, daß der Nihilismus mit ausgedehnten Ordnungssystemen wohl harmonieren kann, ja daß das, wo er aktiv wird und Macht entfaltet, sogar die Regel ist. Die Ordnung ist für ihn ein günstiges Substrat; erbildet es zu seinem Zielen um. Vorausgesetzt wird lediglich, daß die Ordnung abstrakt sei, und also geistig -hierher gehört in erster Linie der durchgebildete Staat mit seinen Beamten und Apparaturen, und das vor allem zu einem Zeitpunkt, an dem die tragenden Ideen mit ihrem Nomos und Ethos verlorengegangen oder in Verfall geraten sind, obwohl sie vielleicht im Vordergrunde in erhöhter Sichtbarkeit fortleben. Es wird dann an ihnen nur noch beachtet, was zu aktualisieren ist, und diesem Zustande entspricht eine Art von journalistischer Geschichtsschreibung.“
„Um mit dem dritten zu beginnen, so fällt uns heute, nach wohlerwor benen Erfahrungen, die Unterscheid ung zwischen dem Nihilistischen und dem Chaotischen nicht schwer. Sie ist jedoch wichtig, denn es gibt eine Entscheidung zwischen dem Chaos und dem Nichts.“
„Die wesentliche Gegenüberstellung lautet nicht: Einzelner oder Gemeinschaft, sie lautet: Typus oder Individuum.“
„Überall in der Natur begegnen wir einem Verhältnis zwischen Stempel und Prägung, das dem Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung in derselben Weise übergeordnet ist, in der etwa der »astrologische« Charakter eines Menschen ungleich bedeutender ist als seine rein moralische Qualität.“
„Der eigentliche Wert einer solchen Bewegung, einer solchen Beunruhigung liegt nicht darin, daß sie »stimmt«. Er liegt vielmehr darin, daß Geisteskräfte ins Treffen geführt werden, die lange brachgelegen haben, ja weithin verkümmert sind und deren Absterben den Planeten zu veröden droht.“
„Man hört auch den Vorschlag, die Massen ihrem Willen zu überlassen, der sie so deutlich zur Vernichtung drängt. Das hieße die Sklaverei verewigen, in der zahllose Millionen schmachten, und welche die Schrecken der Antike überbietet, doch ohne deren Licht.“
„Es gibt daher auch eine Frage nach dem Grundwert, die heute an Personen, Werke und Einrichtungen zu stellen ist. Sie lautet: inwiefern haben sie die Linie passiert?“
„Es ist kein Zweifel daran, daß unser Bestand als Ganzes sich über die kritische Linie bewegt.“
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